Manche Geschichten wollen nicht vergessen werden. Sie warten – auf diejenigen, die bereit sind, ihnen zuzuhören.
​
Das Projekt, aus dem dieses Album entstanden ist, wuchs aus der Stille. Aus dem jahrzehntelangen Schweigen, das eine der faszinierendsten Persönlichkeiten des musikalischen Lebens im Vorkrieg-Warschau umgab – Dawid Ajzensztadt. Schon zu Lebzeiten war er eine Legende: Dirigent, Komponist, charismatische Figur der Warschauer Kulturszene. Seine Konzerte zogen die Elite der Stadt an, sein Chor sang so eindrucksvoll, dass selbst der Straßenlärm verstummte. Und dann wurde seine Musik ausgelöscht – aus dem Raum, aus dem Gedächtnis, aus den Partituren. Bis jetzt.
​
Was man heute auf dieser Schallplatte hören kann, ist das Ergebnis monatelanger Forschungsarbeit – beinahe kriminalistischer Spurensuche – von Jakub Stefek und Lilianna Krych. Zwei Künstler*innen, die nicht nur die Noten Ajzensztadts gelesen, sondern sie auch neu gehört haben. Und sie wieder zum Klingen gebracht haben – dort, wo sie hingehören: Im Herzen des einst jüdischen Warschaus.
​
Das ist Musik, die nach Hause zurückkehrt.
​
Auch wenn die Große Synagoge in der TÅ‚omackie-Straße längst nicht mehr existiert – ihr Klang hat überlebt. Ajzensztadt komponierte für diesen Ort, für diese Gemeinschaft, für diese Stadt. Und obwohl kein Stein von ihr geblieben ist – außer einer verbogenen Garderobenmarke – lässt uns seine Musik sie neu entstehen. Wie ein klangliches Archiv, das statt aus Mauern und Ziegeln aus Atem, Emotion und Resonanz gebaut ist.
​
Durch die Arbeit des Match Match Ensemble und den Einsatz des Harmoniums – eines Instruments, das den Chören jener Zeit zur Seite stand – gelang nicht nur eine klangliche Annäherung an die Epoche, sondern auch eine Rückkehr zu ihrem Geist. Denn es ging nicht um historische Rekonstruktion. Es ging um Erfahrung – gemeinsame, menschliche, tief berührende.
​
Was man auf dieser Schallplatte hört, sind nicht nur Töne aus Notenblättern. Es sind auch Geschichten, eingeschrieben in Sprache – ins Jiddische und Hebräische, mit ihren für uns fremden Lauten und ungewohnten Melodien. Es sind persönliche Erinnerungen – familiär, schmerzhaft, bruchstückhaft – wie die Geschichte von Liliannas Großmutter, die aus dem Ghetto flüchtete, zwei Jahre barfuß im Wald überlebte, aber mit einer unvorstellbaren Lebenskraft.
​
Dies ist eine Schallplatte, die mit Stimmen spricht, die nicht mehr leben – aber noch immer gehört werden wollen.
​
Die Große Synagoge lässt sich nicht wieder aufbauen. Aber man kann dafür sorgen, dass sie wieder klingt. Und auch wenn heute der BlÄ™kitny-Wolkenkratzer an ihrer Stelle steht – ist diese Musik ihr lebendiger Schatten. Ein Klang, der die Welt wieder aufbaut, wenn auch nur für einen Moment. Doch das genügt, um zu spüren, dass das Erinnern weiterlebt – und dass die Zukunft daraus schöpfen kann.